Sehr geehrter Herr Prof. Schulz (Stadtheimatpfleger), sehr geehrter Herr Habres (Landesamt für Denkmalpflege), sehr geehrter Herr Lang (Kreisheimatpfleger für den Bezirk Schwaben), sehr geehrte Damen und Herren,
wir nehmen Bezug auf ein Interview in der Augsburger Allgemeinen mit Prof. Hubert Schulz vom 7.1.2021, dem wir inhaltlich zustimmen. Gleichzeitig möchten wir auf ein aktuelles Bauvorhaben in der Hochfeldstraße 15 hinweisen, weil es allgemeine Fragen zum Schutz des Baubestandes in Augsburg berührt.
Die Villa Hochfeldstraße 15 wurde um 1902 von den Architekten Albert Jack (1856-1935) und Maximilian Wanner (1855-1933) errichtet. Laut Adressbuch (1902) war der Bauherr Hermann Diesel, Vetter des berühmten Ingenieurs und Erfinders des Dieselmotors Rudolf Diesel und Unternehmer – er leitete mit seinem Bruder die Transportfirma „Wilh. Flossmann's Nachf.“.
Das Architekturbüro Jack & Wanner zählte um 1900 zu den erfolgreichsten und angesehensten in Augsburg, von ihm wurden ganze Areale mit großbürgerlichen Häusern bebaut, z.B. in der Prinzregentenstraße, der Schießgrabenstraße (Loge Augusta) oder der Bürgermeister-Fischer-Straße. Im „Katalog“ hatten die Architekten vor allem florale Jugendstilelemente. Die Diesel-Villa an der Hochfeldstraße 15 ähnelte mit ihren Erkern, der lebhaften Dachlandschaft und dem Blumendekor der heute noch besser erhaltenen Villa Hochfeldstraße 33.
Das nach Bombenschäden 1944 wiederaufgebaute Anwesen bildet noch immer mit den benachbarten Reihen- und Mietshäusern an der Hochfeld-, Neidhart- und Lessingstraße die von Architekten wie Jack & Wanner oder Adam Keller intendierte, in sich geschlossene, aufeinander abgestimmte, reizvolle Baugruppe, deren Harmonie durch den Wegfall eines kompletten Gebäudes empfindlich gestört würde. Neben ihrer baukulturellen Signifikanz ist die Hausgeschichte auch stadthistorisch und touristisch bedeutsam. Schließlich schmückt sich Augsburg nicht ungern mit seiner Industriekultur und dem Erfinder Diesel.
Dennoch soll die Villa nach Wunsch eines Investors abgebrochen und durch eine Wohnanlage mit 10 Parteien und einer Tiefgarage ersetzt werden. Schutzstatus nach dem bayerischen Denkmalschutzgesetz liegt nicht vor, weil es sich um einen Wiederaufbau handelt.
Die Denkmalpflege in Bayern kennt zwei für den Schutz von Architektur relevante Kategorien, das „Einzelbaudenkmal“ und das „Ensemble“. In der Lokalpresse war häufiger zu lesen, Augsburg habe „enorm viele“ Baudenkmale.
Tatsächlich sind im Stadtgebiet aber nur gut 1% des Gebäudebestandes als Einzelbaudenkmal geschützt. Es gibt 21 Ensembles, das weitaus größte ist die Altstadt innerhalb des ehemaligen Stadtmauerrings. Die meisten anderen Ensembles umfassen lediglich einzelne Straßen.
Im Vergleich der bayerischen Städte liegt Augsburg in der absoluten Zahl der als Einzelbaudenkmal geschützten Gebäude (ca. 1.070) hinter München (ca. 7.200), Nürnberg (2.160), Fürth (ca. 1.700), Regensburg und Bamberg (je ca. 1.350). Das etwa gleich große Aachen weist mit circa 3.000 Objekten deutlich mehr geschützte Baudenkmale auf, und das gut doppelt so große Leipzig besitzt sogar 15mal (!) so viele Einzelbaudenkmäler wie Augsburg. Schon allein dieses numerische Verhältnis sollte zu denken geben. Die deutlich niedrigere Zahl in Augsburg liegt vermutlich auch an unterschiedlichen Kriterien für die Aufnahme eines Bauwerks in die Denkmalliste in den Bundesländern – in Bayern rühmt man sich einer besonders strengen Prüfung.
Exemplarisch für den relativ geringen Anteil an geschützter Bausubstanz in Augsburg steht das Bismarckviertel, in dem die Villa Hochfeldstraße 15 liegt. Im Viertel zwischen Stettenstraße, Eserwallstraße, Haunstetter-Straße, Bahngleis und Von-der-Tann-Straße liegen etwa 280 Gebäude (alle Zahlen können nur ungefähr angegeben werden), davon sind etwa 170 vor 1930 entstanden, viele davon später verändert worden. Zur baulichen Eigenart gehört die von Stadtbaurat Ludwig Leybold ab 1870 verfolgte, damals innovative „offene“ Pavillonbebauung mit Villen, Reihen- und Miethäusern.
Im Bismarckviertel gibt es zwei Ensembles, „Bismarckstraße“ und „Lessingstraße“ mit etwa 60 Gebäuden, weniger als 20% des Gesamtbestandes. Einzelbaudenkmalschutz besteht für 26 Gebäude, das heißt für nicht einmal 10% des Gesamtbestandes und etwa 15% des vor 1930 errichteten Baubestandes.
In Augsburg zählen Stadtquartiere mit einem relativ hohen Anteil an hochwertigem Altbaubestand wie das Bismarckviertel zu den beliebtesten Wohnorten. Hier lassen sich die höchsten Mieten und Verkaufspreise erzielen. Dies hat zur Folge, dass gerade in diesen Gebieten der Druck auf die Parzellen steigt. In den offen bebauten Arealen lassen sich zudem viel leichter als bei geschlossenen Häuserzeilen einzelne Bauwerke abreißen und durch Neubauten mit größerer Kubatur und Flachdach auf Firsthöhe der Altbauten ersetzen. Am stärksten wirkt der kommerzielle Druck auf Villen wie Hochfeldstraße 15.
Ensembleschutz und Einzelbaudenkmalschutz bieten dann gewisse Werkzeuge, die Weiternutzung gegenüber dem Abbruch und Neubau attraktiv machen, z.B. steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten. Wo aber kein Schutz greift, bestehen diese Vorteile nicht.
Die Stadt Augsburg stellte sich bei Diskussionen, die es in den vergangenen Jahren um den Erhalt bestimmter Bestandsbauten, wie etwa 2016 beim Gärtnerhaus im Martini-Park, auf die Position, dass es für die nicht durch das Denkmalrecht geschützten Bauten keine Erhaltungsmöglichkeiten gebe, wenn ein Besitzer oder Bauträger den Abbruch beabsichtigt. Für Hochfeldstraße 15 steht eine ähnliche Argumentation zu befürchten.
Auch den Ensembleschutz scheint die städtische Bauverwaltung aber eher für ein stumpfes Schwert zu halten, das keinen Schutz vor regellosen Abbrüchen zu bieten scheint, denn an der Georgenstraße verschwanden gleich eine ganze Zeile älterer (vor 1900 errichteter) ensemblegeschützter Handwerkerhäuser und sogar ein Einzelbaudenkmal. Den Anwohnern im Bismarckviertel ist es daher vermutlich nicht einmal bewusst, dass ensemblegeschützte Bauten, die gerade die Attraktivität und Qualität ihres Wohnquartiers ausmachen, grundsätzlich dem Abbruch geopfert werden könnten.
Kreative Möglichkeiten der Weiternutzung wären gerade bei nicht geschützten (oder ensemblegeschützten) Altbauten wie der Diesel-Villa in der Hochfeldstraße 15 möglich. Sie wären auch im Sinne einer ressourcenschonenden und nachhaltigen Stadtentwicklung angezeigt – denn Abbruch und Neubau erzeugen Unmengen an „grauer Energie“ – der Bausektor in Deutschland ist für etwa 60% des Abfalls in Deutschland verantwortlich. Zudem können durch Weiternutzung der Bausubstanz auch qualitätsvolle Baugruppen bewahrt werden, auch wenn für die einzelnen Häuser kein Denkmal- oder Ensembleschutz greift.
Deshalb regen wir an:
1) dass die Villa Hochfeldstraße 15 erhalten und umgebaut wird, wie offenbar zunächst geplant.
2) dass die Stadt Augsburg künftig neben dem Denkmalrecht andere Möglichkeiten zur Erhaltung des Baubestandes nutzt. In Frage kämen Erhaltungssatzungen in bestimmten Gebieten wie dem Bismarckviertel auf der Grundlage von § 172 BauGB. Solche Erhaltungssatzungen gibt es in anderen Städten zur „Erhaltung der städtebaulichen Eigenart eines Gebiets auf Grund seiner städtebaulichen Gestalt“, etwa in Dresden:
Die Gebiete, in denen eine Erhaltungssatzung gilt, dienen der räumlichen Erweiterung von Bauensembles. Städte selbst können festlegen, welche Bauten, Grünflächen und auch Strukturen (Zäune, Mauern) bewahrt werden sollen, wo rote Linien für Neubauten eingezogen werden sollen, welche Nutzungen in solchen Gebieten möglich sein sollen. Die Kommune kann sich so z.B. auch ein Vorkaufsrecht für Grundstücke und Immobilien sichern.
3) dass die Stadt Augsburg zudem aktiv Möglichkeiten auslotet, wie Ensembleschutz und Einzelbaudenkmalschutz in Augsburg gestärkt werden können um Leerstände und Spekulation mit Denkmälern möglichst zu vermeiden.
Mit besten Grüßen
Dr. Barbara Wolf
Dr. Gregor Nagler
am 17. Februar 2021
Als ehemaliger Augsburger und Bürger von Wiesbaden, einer Stadt, die deutlich größere Gebiete und Ensembles historistischen Villenbaus unter Schutz gestellt hat, unterstütze ich entschieden den offenen Brief der beiden lokalen Expertinnen. Selbst an einer Architekturfakultät wie meiner an der TU Darmstadt hat man inzwischen erkannt, dass in solchen Gebieten Abriss und Neubau aus städtebaulichen und ökologischen Gründen nur die gut begründete Ultima ratio sein sollte. Das Argument gegen die Erhaltung, es handele sich ja „nur“ um einen Teilwiederaufbau der Nachkriegszeit, trifft für das Stadttheater, das Rathaus und die Fuggerei ebenso zu und würde dort niemals zum Argument gegen die Erhaltung erhoben. Gerade in einer für eine Gesamtanlage, nämlich die Wassertechnik frisch gekürte Welterbestadt sollte das Bewusstsein für Ensemblequalitäten, nicht nu…